Mein Name ist Nadja (27) und am 05.07.2019 hatte ich einen schweren Motorradunfall, weil mein Motorrad wegen eines technischen Defekts in einer Kurve ausgegangen war, weswegen ich in den Gegenverkehr geraten bin und gegen einen entgegen kommenden LKW fuhr. Aufgrund des Polytrauma mit u.a. einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, bin ich fünf Wochen ins künstliche Koma gelegt worden. Nachdem mein Leben gerettet werden konnte, wachte ich wieder auf und wurde langsam immer klarer. Es konnten glücklicherweise keine zentralneurologischen Folgeschäden festgestellt werden, das heißt ich habe keine Probleme mit meinem Kopf.
Allerdings sind u.a. drei von fünf Nervenwurzeln inkomplett ausgerissen, also mit intakter Nervenwand (Nn. Plexus brachialis C6/7 – Th1). Der Nervenschaden führt dazu, dass ich meinen linken Arm nicht mehr vollständig bewegen kann. Wegen dem "nur" inkompletten Ausreißen der Nervenwurzeln, konnte sich über die Zeit einiges an Funktion wieder regeneriert. Doch wegen des insgesamt recht komplexen Lähmungsmusters, kann ich meinen linken Arm nur für einfache stützende Aufgaben nutzen. Die linke Hand ist nahezu nicht funktionell einsetzbar, nur eine leichte Beugung der Finger und des Handgelenks ist aktuell sichtbar, was aber einfache Aufgabe mit leichter Griffkraft ermöglichen. Von der Schulter aus kann ich den Arm maximal 45° anheben und den Ellenbogen nicht beugen, dafür aber sehr gut strecken – vereinfachte Liegestütze sind sogar möglich.
Ein Jahr nach meinem Unfall hatte ich angefangen Medizintechnik (B.Sc.) an der Hochschule Furtwangen in Villingen-Schwenningen zu studieren. Wegen meiner ersten Forschungsarbeit bin ich über einen glücklichen Zufall in eine Forschungsgruppe im MEG-Zentrum am Universitätsklinikum Tübingen gestolpert, die sich mit Quantensensoren beschäftigt. Das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart forscht u.a. gemeinsam mit dem MEG-Zentrum an diesem Thema. Über diese Verbindung konnte ich mein praktisches Semester vergangenes Jahr im IPA absolvieren, wobei ich es in das dortige Projekt von Veronika Hofmann und Dr. Urs Schneider geschafft habe. Gemeinsam überlegten wir uns erste Ansätze, um die Versorgung von Patient:innen mit Plexuslähmung zu verbessern. Nicht nur durch eine zugänglichere Akut- und Nachversorgung durch diese Community, sondern auch durch die Entwicklung eines technischen Unterstützungssystems für Menschen mit traumatischer Plexuslähmung. Wegen des persönlichen Bezugs konnte ich einen Einblick in die Patientinnenseite gewähren, was während des Entwicklungsprozesses einen wichtigen Einfluss nehmen kann. Bei dem Zusammentragen der Tipps und Tricks auf dieser Webseite habe ich geholfen und aus meiner Sicht bewertet, ob diese für mich hilfreich sind. Ein paar persönliche Tricks habe ich auch hinzugefügt. Die wichtigsten Einblicke geben einem nahezu immer die Betroffenen selbst, als Außenstehende kann nicht an alles gedacht werden.
Mein Umgang mit der großen Veränderung nur noch einen Arm einsetzen zu können, war zu Beginn eher vermeidend. Meine Devise ist gewesen „ist doch gar nichts passiert, ich mache einfach weiter wie bisher“. Nach zwei Jahren habe ich dann durch ein Burnout gemerkt, dass meine altbewährte Strategie wahrscheinlich gar nicht so strategisch gewesen ist. Seine unverarbeiteten Gefühle zu verdrängen mag für den Moment und vielleicht auch eine Zeit lang hilfreich sein, auch im Alltag klar zu kommen, auf Dauer aber geht das nicht gut aus. Im Laufe der Zeit habe ich durch einige Lektionen lernen müssen, dass das Leben weitergeht und selbst bestimmt werden kann, was aus der einem gebliebenen Zeit noch machen möchte. Unabhängig von meinen Erwartungen an mein neues Leben, bin ich bis dato der festen Überzeugung gewesen, dass ich alles alleine bewältigen könnte und es auch alleine schaffen möchte - nur konnte ich das nicht. Was ich erst lernen und akzeptieren musste: Um Hilfe zu bitten, wenn ich sie gebraucht wird! Das war für mich ein großer Einschnitt in meine Unabhängigkeit und mir fiel es besonders schwer, diese neue „Schwäche“ zu akzeptieren. Dabei sind Menschen im Allgemeinen eher freundlich und gnädig, vor allem wenn sie um Hilfe gebeten werden.
Eine weitere große Umstellung ist, dass nun verdammt noch mal alles länger dauert. Das ist eine frustrierende und ermüdende Tatsache, aber diese Medaille hat zwei Seiten: auf diese Weise habe ich gelernt, wo ein Wille ist, ist meistens auch ein Weg – zumindest mit einer ordentlichen Portion Geduld, Fingerspitzengefühl und Kreativität.
Und am Wichtigsten: Du darfst nicht aufgeben, der Weg ist hart und anstrengend. Aber es lohnt sich durch dieses Tal zu gehen, danach bist du ein zufriedener Mensch und kannst dein neues Leben genießen. Veränderungen bringen immer Vor- und Nachteile, lass dich nicht vom Negativen unterkriegen, wenn man möchte geht es immer weiter.